Die Deutsche Einheitskurzschrift - Wiener Urkunde

von Hannelore Schindelasch

1901 wurde nach mühseligen und langen Verhandlungen eine gemeinsame deutsche Orthographie für alle deutschsprachigen Staaten (mit geringen länderspezifischen Einschränkungen) beschlossen. Damit war ein Grundstein gelegt, auch eine Einheit für die Kurzschriftsysteme zu entwickeln. Anfang des vorigen Jahrhunderts gab es hunderte Kurzschriftsysteme – sog. Kurzschrift-Schulen, von den zehn (u. a. Franz Xaver Gabelsberger, Wilhelm Stolze, Carl Faulmann, Ferdinand Schrey) von überregionaler Bedeutung waren.

Gabelsberger, Stolze, Faulmann, Schrey werden gerne als Väter der Einheitskurzschrift bezeichnet.

Auf Anregung des Bundesvorsitzenden der Schule Gabelsberger (1906) sollte ein Sachverständigenausschuss von 23 Personen verschiedener Schulen eingerichtet werden. Leidenschaftliche Systemkämpfe erbrannten. Ein zähes Ringen zur Wahrung des „eigenen“ Systems folgte. Viele Entwürfe wurden erarbeitet und verworfen. 1922 wurde ein Entwurf erarbeitet, dem - bis auf Preußen - alle Reichsressorts und Länder zustimmten.

Erst im Jahre 1924 gelang es, eine Deutsche Einheitskurzschrift zu beschließen, und zwar verbindlich (gültig ab dem 20.09.1924). Erlasse und Verfügungen regelten die Einführung der Deutschen Einheitskurzschrift (DEK). Die Systemurkunde von 1924 gliederte sich in Verkehrsschrift (Unterstufe) und Redeschrift (Oberstufe). Im Februar 1925 wurde in Oldenburg erstmals nach der DEK unterrichtet.

Auf Veranlassung des Reichserziehungsministeriums (1934) sollte die Systemfrage noch einmal revidiert werden. Die neue Systemurkunde wurde schließlich am 30.01.1936 verabschiedet. Die Unterstufe, die Verkehrsschrift wurde vereinfacht. Zusätzlich zur Grundstufe, gab es „Wahlfreien Bestimmungen“, die verkürzte Verkehrsschrift. Die Anwendung dieser Bestimmungen war fakultativ. Die Oberstufe wurde in Eilschrift umbenannt.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Kurzschriftunterricht wieder aufgenommen, Stenografenvereine wiedergegründet, so z. B. die Stenografen-Vereinigung Oldenburg (Oldb) e. V. am 22.09.1945.

Die Gegner der DEK wurden wieder aktiv. Der Unterricht nach älteren Systemen flammte wieder auf. Die Systemurkunde von 1936 wurde von einigen Kurzschriftgelehrten abgelehnt und in Rheinland-Pfalz sogar verboten. Es entstand wieder eine Systemvielfalt.

Im Laufe der Zeit entstand jedoch wieder das Bedürfnis nach einer Vereinheitlichung. Es wurde angeregt, das bisherige System (DEK von 1936) zu reformieren. So gab es den Wunsch, die Wahlfreien Bestimmungen auf die Verkehrs- und Eilschrift aufzuteilen.

Die ständige Kultusministerkonferenz gab am 10.10.1952 bekannt, dass zum Unterricht nur ein System zulässig sei, nämlich die DEK von 1936. Es bestünde kein Anlass dieses System zu ändern. Den Ländern wurde jedoch die Freiheit eingeräumt, über die Darbietung des Lernstoffes eigenständig zu bestimmen. Die Einheit war gestört, da sich Differenzen zwischen den System-formen der Länder auftaten. Aus diesem Grunde setzte die Kultusministerkonferenz 1959 einen Sachverständigenausschuss für Kurzschriftfragen ein.

Am 05.12.1959 revidierte die Kultusministerkonferenz den Entschluss von 1952 und setzte einen Sachverständigenausschuss für Kurzschriftfragen ein. 1962 legte der Ausschuss nach 4 Sitzungen – 3 Sitzungen in Bonn und die 4. Sitzung in Wien – einen Entwurf, den „Wiener Entwurf“ vor. Neben einigen wenigen Änderungen im Zeichenmaterial und der Anzahl der Kürzel sah die Wiener Urkunde eine neue Gliederung - in Verkehrsschrift und Schellschrift - vor. Die Schnellschrift wurde in zwei Teile gegliedert, der Eilschrift und der Redeschrift.

Der Freistaat Bayern und das Bundesland Baden-Württemberg stimmten dem Entwurf nicht zu. 1967 gaben diese Länder ihren Boykott jedoch auf. Der Sachverständigenausschuss überarbeitete das Konzept noch einmal. Die Ständige Kultusministerkonferenz stimmte diesem Entwurf zu. Am 20.06.1968 wurde die Wiener Urkunde veröffentlicht und trat am 01.08.1968 trat in Kraft.

Visuelle Poesie

von Hannelore Schindelasch

Frau Else Blaufuß aus Kassel beweist, dass die Kurzschrift auch für die Kunst geeignet. „Visuelle Poesie“ nennt sie den von ihr kreierten Porzellandekor. Er ist einmalig auf der Welt! Mit einer Spezialfeder und flüssigem Gold stenografiert Frau Blaufuß unter einer Lupenlampe Texte auf das glasierte Porzellan.

Die Schriftbilder werden so positioniert, dass ein filigranes Muster entsteht. Dieses beeindruckt im Besonderen dadurch, dass es neben seinem dekorativen Aussehen auch etwas beinhaltet, nämlich Gedichte, Märchen, Verse oder einfach Texte von namhaften Autoren (Friedrich von Schiller, Eugen Roth, Mutter Teresa, Wolfgang Amadeus Mozart usw.). Aber auch individuelle Texte wurden/werden von ihr berücksichtigt.

Da die Texte im Zusammenhang nicht mehr lesbar sind, bekommt jeder Erwerber eines solchen Unikates ein Zertifikat mit dem gesamten stenografierten Text. Das ist aufgrund der eigenwilligen und künstlerischen Darstellung auch für Stenografen hilfreich. Wie die Fotos zeigen, ist diese Kunst auch für Nichtstenografen optisch ein Genuss. - Nach dem Beschriften werden die Porzellanteile – oft mehrere Male – bei 800 °C gebrannt.

Das Besondere ist, dass Else Blaufuß mit Ihrer Kunst auch Gutes tun wollte/will. Seit Jahren spendet sie zu Weihnachten für gemeinnützige Vereine. Hier ein Beispiel: 2015 stellte sie die von ihr kreierte wunderschöne und große Glocke aus dem Hause Fürstenberg zugunsten des "Vereins für krebskranke Kinder Kassel e. V.“ zur Versteigerung zur Verfügung.

Die abgebildete Glocke von Fürstenberg beschriftete Frau Blaufuß mit dem

„Lied von der Glocke“ von Friedrich von Schiller.

Den gesamten Liedtext konnte sie – bis auf den letzten Abschnitt - auf der äußeren Glocke „unterbringen“. Den letzten Abschnitt stenografierte sie gut lesbar ins Innere der Glocke. Die Glocke ist ca. 20 cm hoch und hat einen Durchmesser von ca. 13 cm. – Auf einer anderen Glocke schrieb Frau Blaufuß kleiner, sodass der gesamte Text auf das Äußere der Glocke passte.

Diese künstlerische Arbeit ist eine reine Liebhaberei.

Ausstellungen hatte Frau Blaufuß u. a.

•    im Schloss zu Fürstenberg,
•    im Deutschen Porzellanmuseum in Hohenberg,
•    im Keramikmuseum in Höhr-Grenzhausen und
•    natürlich bei zahlreichen stenografischen Veranstaltungen.